Vaterland und Muttersprache
Vaterland und Muttersprache
Biologische Tatsachen sind Ideologen ein Dorn im Auge: Sie leugnen Geschlechtsunterschiede oder betrachten sie als «konstruiert». Dies hat aber weder mit der Realität der meisten Familien zu tun noch mit ihren Wünschen.
Dass Frauen und Männer biologisch unterschiedlich sind, ist keine neue Erkenntnis. Obwohl die Wissenschaften erst gerade begonnen haben, zu untersuchen, wie unterschiedlich sie sind. Wir wissen heute, dass Frauen das resilientere Geschlecht sind. Früher bezog man das vor allem auf die höhere weibliche Ausdauerfähigkeit relational zur Muskelmasse. Heute ist eine genetische Überlegenheit nachgewiesen – Frauen haben ein stärkeres Immunsystem, können mehr Farben wahrnehmen, sterben seltener an Covid und Krebs. Und leben länger, durchschnittlich etwa fünf Jahre. Man glaubt auch zu wissen, woran das liegt: an der mütterlichen Fürsorge.
Weltabgewandte Milieus
Soweit bekannt – aber wert, aufgezeigt zu werden. Denn biologische Tatsachen sind heutigen Ideologen ein Dorn im Auge. Sie leugnen Geschlechtsunterschiede oder betrachten sie als lediglich kulturell beeinflusst, sogar als «konstruiert» (was Gender-Lehrstühle und Forschungsgelder einbringt). Man fordert Gleichheit für Mann und Frau in allen Lebensbelangen. Nicht nur Chancengleichheit, sondern Ergebnisgleichheit. Auch für Vater und Mutter: gleiche Rolle, gleiche Aufgaben, gleiche Belastung. Solche Forderungen erheben weltabgewandte Milieus. Es hat weder etwas mit der Realität der meisten Familien zu tun noch mit ihren Wünschen. Forschungen zeigen, dass Gleichheitsideale nur bedingt praxistauglich sind. Selbst wenn die Frau deutlich mehr zur Hausarbeit beiträgt als der Mann (das ist die Regel, vor allem, wenn Kleinkinder zu versorgen sind), sind auch Frauen mit der Arbeitsteilung zufrieden.
Sachliche Gründe, Effizienz und Fähigkeit, die Berufssituation, aber auch persönliche Vorlieben: Diese Gemengelage legitimiert die mehr oder minder exklusive Zuständigkeit der Frau für Kinder und Küche, nicht das Geschlecht. Man versucht einfach, Zeit, Aufwand und Geld zu sparen. Beispiel: Weil er als Finanzanalytiker von zu Hause aus arbeiten kann und sie Lehrerin ist, bringt er die Kinder zur Krippe und holt sie wieder ab. Aber unabhängig davon, ob «sie» arbeiten geht und «er» zu Hause bleibt – man handelt pragmatisch, nicht ideologisch. Wenn das klar abgesprochen ist, ist dagegen ja auch wenig einzuwenden. Obgleich ein leicht resignierter Unterton unüberhörbar ist: In einer amerikanischen Studie wird eine Frau zitiert, die gefragt wurde, was sich ändern müsste, damit ihr Mann zu Hause auch «mehr Denkarbeit» übernähme. Ihre Antwort: «Man müsste sein Gehirn ändern. Aber ich habe keineswegs den Ehrgeiz, das zu versuchen.»
Auch mit Blick auf das Kindeswohl ignoriert man die Unterschiede der Geschlechter nicht straflos. «Vater» und «Mutter» sind nicht nur andere Wörter. Sie lassen in uns etwas Archetypisches anklingen, etwas überzeitlich Gültiges, das wir vom Schöpfungsmythos der Maori bis zu den Psychologismen der Neuzeit spannen können. Sind wir mutig und fassen das Wesentliche zusammen, dann repräsentiert der Vater das Zeigen ins Offene, in die Aussenwelt, in die Gesellschaft. Seine Stimme ist die Eindeutigkeit, die Gleichheit vor dem Gesetz, welches in einem Raum gilt, dem «Vaterland».
Im Wort «Mutter» artikulieren sich hingegen Gefühlswelten, sie repräsentiert die Nähe, die Innenwelt, Gemeinschaft, das Geschlossene. Die Stimme der Mutter ist die Liebe, das Situative, die Mehrdeutigkeit. Insofern ist sie die Umfangreichere. Sie schafft die «Muttersprache» – es gibt keine «Vatersprache». Das mütterliche Prinzip ist das Sprechen, das Sprachspiel, das mehr Melodie braucht als Inhalt. Eben wie die Muttersprache, die nie wirklich in andere Sprachen übersetzt werden kann; in letzter Konsequenz entzieht sie sich dem Verstehen Fremdsprachlicher. Weshalb sich viele Schriftsteller damit schwertun, übersetzt zu werden. Mit ihrer Unschärfe unterwandert die Mutter auch die Regelsetzung des Vaters.
Der Kampf um die Vorherrschaft ist daher von vornherein entschieden. Denn das Erste, was zu uns spricht, ist die Stimme der Mutter. Schon pränatal: Vorgeburtliche Prägung über Geräusche und Fruchtwasser erzeugt Erwartungen, die nur die biologische Mutter erfüllen kann. Alles, was später kommt, alles Hören, Sprechen, Lesen, Sehen und Tasten, ist durch diese mütterliche Vorgabe geprägt. Eben auch das, was der Vater sagt und tut, der Inhalt – er ist überlagert von der mütterlichen Intonation. Der Alltagsverstand weiss das: «Der Ton macht die Musik.» Nicht was jemand sagt, ist entscheidend, sondern wie es gesagt wird. Eine Mutter tut und bedeutet mithin viel mehr, als einige sprachverwirrende Eiferer glauben, die sie zum «gebärenden Elternteil» erklären oder zur «Person, die das Kind geboren hat». Wir entstanden in unserer Mutter; niemand war uns jemals näher, niemand wird uns jemals näher sein.
Diese Verbindung wirkt ein Leben lang, egal, wie aktiv die Beziehung später ist. Jedes Erleben von Glück ist ein Erinnern der Verschmelzung mit der Mutter, jedes Erleben von Unglück ist ein Erinnern der Trennung von ihr. Von der Mutter lernen wir daher den Kontrast, das Schwingen zwischen Glück und Unglück – als Bedingung des Blühens, Gedeihens, Wachsens. Von ihrer Liebe lernen wir auch lieben. Wir können das kaum überschätzen: Wenn wir uns von ihr geliebt wissen, können wir auch andere lieben. Und werden von anderen geliebt. Wenn wir die Mutter hingegen ablehnen, weil wir von ihr nicht geliebt wurden, bleiben wir unglücklich. Weil wir von anderen ungeliebt bleiben. Wir schwingen nicht mehr zwischen den Polen.
Kein männliches Leitbild
Was aber ist das «väterliche Prinzip»? In Friedrich Schillers Aufgabenbeschreibung reimt sich das: «Der Mann muss hinaus / Ins feindliche Leben / Muss wirken und streben / Und pflanzen und schaffen / Erlisten, erraffen / Muss wetten und wagen / Das Glück zu erjagen.» In den letzten Jahrzehnten hat der Gesellschaftstrend zur normativen Universalisierung der Weiblichkeit dazu geführt, Männer pauschal als «toxisch» zu bezeichnen. Bereits in der Grundschule wird vielen Knaben Eroberungsdrang und Kampfeslust ausgetrieben. Darauf wollen wir hier nicht eingehen, und auf Machogehabe können wir gerne verzichten. Aber Nachdenklichkeit und Rücksichtnahme dürfen den Mann nicht kraftlos machen.
Der Siegeswillen von Jungen und Männern ist keine patriarchalische Tyrannei. Wir verdanken ihm vielmehr Fortschritt und Freiheit – auch wenn die nicht kostenlos zu haben sind. Auch auf Ritterlichkeit sollten wir nicht verzichten, auf Schutz und Verteidigung der Schwachen, Stärke und Kraft zum Wohl der Familie. Die Entwicklungspsychologie betont die Rolle des Vaters vor allem für eine verhaltenssichere Entwicklung von Söhnen. Diese lernen zuerst von ihren Vätern, was ein Mann ist. Und Töchter lernen, was sie von einem Mann erwarten können, wie er arbeitet und liebt.
Gibt es heute überhaupt noch ein verbindliches Leitbild männlicher Sozialisation? Man mag gar zweifeln, ob die sogenannten «neuen Väter» tatsächlich Väter sind oder ob es sich um Männer handelt, die Teile der traditionellen Mutterrolle für sich beanspruchen oder sogar zugewiesen bekommen im Zuge der Gleichheitsideologie. Wenn jedoch die Funktion der Väter verschwindet, weil Väter immer mehr Aspekte der Mutterrolle übernehmen und weibliche Qualitäten als allgemein menschlich vereinseitigt werden, verkörpert niemand mehr das Gesetz, den Besitz, das Normensystem. Dann muss das Kind sich nicht mehr auflehnen. Dann muss es nicht mehr hadern. Dann muss es nichts mehr überwinden. Aber dann wird es auch keine Ich-Stärke entwickeln, die sich nur im Widerstand gegen die gesetzgebende Instanz entwickelt. Und für die Gesellschaft gibt es nichts mehr, was es wert wäre, tradiert zu werden.
Müssen wir uns wundern, dass unter der dünnen Decke moderner Rationalität das Bedürfnis wuchert, sich übermannshohen Despoten oder populistischen Ambivalenznegationen zu unterwerfen? Müssen wir uns wundern, wenn es allenthalben zu moralbasiertem Regelbruch kommt? Wenn niemand mehr selbstbewusst das Sittengesetz verteidigt? Wenn in der Politik niemand mehr nach Prinzipien klar entscheidet, wie hart das für den Einzelnen auch sein mag?
Wir sind gut beraten, die Bedeutung des Vaters im Prozess der Erziehung nicht aufzuweichen. Weder tut das dem Vater gut noch der Mutter und auch dem Kind nicht – einerlei, ob es ein Sohn oder eine Tochter ist. Ist das urbildliches Denken? Mag sein. Und es sei hier ausdrücklich festgehalten, dass die Evolution weder Glück noch Moral zum Ziel hat. Was die Natur hervorgebracht hat, impliziert keine Soll-Vorschrift. Genese ist nicht Geltung, Herkunft nicht Rechtfertigung. Wir sollten aber klug abwägen zwischen Bewahrenswertem und Erneuerungsnotwendigem.
Dabei helfen der Erfahrungsvorsprung des Alters und die Einsicht, dass, was lange von der Gesellschaft erarbeitet wurde, leicht zu zerstören ist: Frieden, Freiheit, Recht, Anstand, Gemeinsinn. Und eben auch die Rollen von Vater und Mutter. Es sind Universalien, die wir als Funktionsträger für das Kind nicht missen dürfen. Alles Glück auf Erden besteht darin, Unterschiede zu sehen.