Sollen Fussballerinnen mehr verdienen?
Sollen Fussballerinnen mehr verdienen?
Verdienen fussballspielende Frauen zu wenig? Verdienen «unternehmenspielende» Manager zu viel? Was ist mit den «systemrelevanten» Krankenschwestern und -pflegern – ist deren Lohn zu gering? Ist es nachvollziehbar, wenn die Case-Initiative eine «faire Bezahlung» für Künstler fordert? Wird der Strom gerade «teuer»? Ist das Benzin eigentlich immer noch zu «billig»? Die Antwort auf diese Fragen hängt ab von Erwartungen, die wir an die Preise für bestimmte Produkte und Dienstleistungen herantragen. Erwartungen wiederum resultieren aus vergangenen Erfahrungen, Ankerpreisen und aktuellen Alternativen. All das lässt uns vergleichen und entsprechend urteilen. Wenn uns dann etwas als «preiswert» erscheint, ist das zwar umgangssprachlich oft mit «billig» assoziiert, meint aber im Kern nur, dass etwas offenbar den Preis wert ist. Dann empfinden wir einen Preis als gerechtfertigt, dann ist der Preis gerecht.
Der gerechte Preis ist seit je eine Grundfrage des sozialen Lebens. Platon liess in seinem Alterswerk «Nomoi» die Preisbildung von Marktaufsehern beobachten und als «Gleichheit» festlegen. Aristoteles hingegen sprach sich für die «Wechselbezüglichkeit» der Handelnden aus. Platon war erfolgreicher. Seine Auffassung spiegelt sich im Alten Testament bei Moses (3.25,14): «Wenn du nun etwas deinem Nächsten verkaufst oder ihm etwas abkaufst, dann soll keiner seinen Bruder übervorteilen.» Oder seine Schwester, dürfen wir heute hinzufügen. Denn gerade bei der Fussball-EM der Frauen erhob sich erneut die Diskussion um Tauschgerechtigkeit. Sollten sie nicht vom Fussballspielen leben können? Da mischte sich sogar der deutsche Bundeskanzler per Twitter ein: Wir schrieben doch das Jahr 2022, und da sollten endlich Männer und Frauen im Fussball gleich bezahlt werden. Eigentlich müsste im Fall des Fussballs schon der gesunde Menschenverstand ausreichen, um in der Forderung nach Prämiengleichheit eine zeitgeistig-moralisierende Verstiegenheit zu erkennen. Aber mit dem gesunden Menschenverstand ist es gegenwärtig nicht so weit her, vor allem nicht bei den Basta-Fraktionen, die sich einer rationalen Argumentation verschliessen. Deshalb müssen wir, um die Frage nach dem gerechten Preis zu beantworten, die Dinge aus der gewohnten Trübheit holen.
Erstens: Wir arbeiten arbeitsteilig. Niemand ist heute Selbstversorger, wir sind alle Fremdversorger. Was jemand erarbeitet, muss an die Gesellschaft übergehen, von der er wiederum das zurückerhält, was er braucht, um sein Überleben zusichern. Damit ist Arbeit immer Arbeit für andere. Es ist Arbeit «auf den anderen zu» – sonst wäre es Beschäftigung.
Zweitens: Unter obiger Bedingung kann niemand erfolgreich sein, der möglichst viel haben will. Wirtschaft gedeiht nur, wenn jeder möglichst viel geben will. Nur dann kann wieder etwas zurückströmen – auch wenn der Wohlfahrtsstaat diese Binsenwahrheit leugnet. Kurz: Wer vielen Menschen dient, verdient viel; wer wenigen dient, verdient wenig. Viele wollen fussballspielenden Testosteronbolzen beim Bolzen zuschauen – und verhelfen dadurch vielen anderen ausserhalb des Stadions zu Arbeitsplätzen. Diese Hebelwirkung für das Einkommen anderer ist ein zentrales Element der Preisbildung. Und damit die Fundamentalmechanik ökonomischer Ungleichheit.
Drittens: Wenn ein Mensch im wirtschaftlichen Geschehen etwas fordert (zum Beispiel eine «faire Bezahlung»), dann will oder kann er nicht genug geben – jedenfalls weniger, als ihm ein Tauschpartner freiwillig zurückgeben will. Dann kippt er zurück auf die Stufe der Selbstversorger – und wird daher für den sozialen Organismus irrelevant. Milder formuliert: Er wird austauschbarer. Je austauschbarer ein Mensch für die Lösung einer bestimmten Aufgabe ist, desto weniger verdient er. Im Spitzenfussball: Eine Fussballspielerin könnte den Job eines Fussballspielers nicht über nehmen – jedenfalls nicht in dem Maße wie umgekehrt. Wer das anders sieht, muss für geschlechtsunabhängige Ligen plädieren.
Viertens: Das Fordern zielt auf einen Lohn. Lohn wofür? Gemeinhin wird gesagt: für Arbeit. Das ist falsch. Niemand kann seine Arbeit verkaufen – sie ist kein Gegenstand, keine Ware. Sie bleibt als Arbeitsvermögen beim Arbeiter. Er kann nur das Produkt seiner Arbeit verkaufen: Waren und Dienstleistungen. Im Fall der Fussballerinnen: Unterhaltung. Diesen – nur scheinbar haarspalterischen – Unterschied zu übersehen, liess schon Karl Marx ins Theorieverderben rennen. Ein klassischer Kategorienfehler mit Folgen: Wenn man den gerechten
Preis der Arbeit diskutiert, richtet sich der Blick nach innen, weist man auf einen selbstdefinierten Anspruch des Arbeiters zurück. Dann diskutiert man implizit den Wert eines Menschen – und nicht den Preis seines Produkts. Der Lohn für Fussball muss nicht zum Leben reichen. Und dann wird es sumpfig. Denn «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!», Gleiches gleich behandeln, Ungleiches ungleich – das entspricht der Intuition der meisten Menschen. Wird aber im Fussball von Männern und Frauen Gleiches angeboten? Nur in dem Fall, dass man Arbeit (als Eigenschaft des Arbeiters) verwechselt mit dem Produkt seiner Arbeit. Diskutiert man hingegen den Preis von Produkten und Dienstleistungen, dann richtet sich der Blick nach außen, dann kommt der Empfänger in den Blick, der dafür einen Preis zu zahlen bereit ist. Oder eben nicht. Weil es ihm eben nicht den Preis wert erscheint. Das äussert sich im Fall der Fussballfrauen in geringeren Merchandise-Umsätzen, Werbeeinnahmen, Zuschauerzahlen. Bundeskanzler Scholz, der höhere Prämien für Frauen fordert, will mithin das Votum der Zuschauer aushebeln. Ein Sozialdemokrat, der das Soziale geringschätzt. Dafür sollte er Stadionverbot erhalten.
Fünftens: Ein gerechter Preis ist dann vorhanden, wenn jemand für das Produkt seiner Arbeit soviel Gegenwert bekommt, dass er ein äquivalentes Produkt erzeugen kann. Ob er davon auch leben kann oder können sollte, ist eine ganz andere Frage. Sie wird beantwortet von Menschen, die freiwillig etwas zurückgeben oder nicht. Ob das zum Leben reicht, kann man nicht fordern, sondern nur erstreben. Diese fünf Aspekte definieren einen sozialen Organismus, bei dem der Produktstrom dem Geldstrom entgegenläuft und beide sich zum gerechten Preis ausgleichen. Dieser Preis kann sich natürlich nur bilden, wenn preisverfälschende Einflüsse weitgehend ausgespart bleiben: staatliche Eingriffe, kartellartige Zusammenschlüsse, Marktmanipulationen. Und: Wenn der Gegenstrom beobachtbar ist! Das fällt leicht im Fall des Fussballs, hier kann man Zuschauerzahlen und Einschaltquoten messen. Das ist im Fall angestellter Manager und Managerinnen schwieriger. Zuschauende Öffentlichkeit wird ausgeschaltet. Gehen wir für einen Moment davon aus, dass kein
Mensch heute mehr ernsthaft glaubt, Frauen würden durch eine männerdefinierte Glasdecke von den Fleischtrögen der Wirtschaft ferngehalten. Dann bleibt das Problem, dass die zuschauende Öffentlichkeit ausgeschaltet ist. Im Unternehmen sind die Arbeit (Arbeitsvermögen des Angestellten) und das Produkt (Wert für den Kunden) kaum unterscheidbar. Ließe man – wie im Fussball – die Kunden eines Unternehmens entscheiden, ob man Frauen ausschliesslich aufgrund ihres Frauseins in die Chefetagen befördern sollte, wäre der Meinungstrend wohl eindeutig: Mit Wirklichkeitssinn kann das niemand wollen. Es wird einem Kunden auch egal sein, ob sein Produkt von einer Frau oder einem Mann hergestellt wurde, von einem Inder oder Schweizer, von einer Katholikin oder Muslimin. Die mangelnde Beobachtbarkeit der Tauschgerechtigkeit ist der Nebel, in dem die Gleichheitsphantasien wuchern und der Preis ungerecht wird.
Wenn wir Situationen unmittelbarer Existenzbedrohung ausblenden, dann ist jeder Preis ungerecht, der durch Eingriff in die Freiheit des Gegenstromverfahrens festgelegt wird. Der deutsche Bundeskanzler fordert mithin einen ungerechten Preis. So wie es jede Forderung tut.