Sind Spitzenmanager ihr Geld wert?

Sind Spitzenmanager ihr Geld wert?

Spitzensaläre in der Wirtschaft geben immer wieder Anlass zu Diskussionen. Gibt es überhaupteinen Wettbewerb um die Besten? Wir haben den Übergang vom Unternehmerkapitalismus zum Managerkapitalismus bisher schlecht gestaltet. Gastkommentar von Reinhard K. Sprenger

Die Stichflammenempörung war erwartbar. Obwohl doch die 19 Millionen Franken für den Novartis-Chefs nur das jüngste Glied in einer Kette von Extremsalären sind, die sich seit Jahren zieht von Daniel Vasella über die Credit-Suisse-Spitzenmanager und Sergio Ermotti bis zu Vas Narasimhan. Die Debatte entgiften auch keine beschwichtigenden Stimmen, die schulterzuckend auf die Freiheit der Gehaltsfindung hinweisen oder zu phrasenhaften «Leistung muss sich lohnen»-Plattitüden greifen. Aus der Tatsache, dass das Phänomen extremer Individualgehälter für Manager unterschiedlich bewertet werden kann, folgt jedoch nicht, dass es keinen faktischen Kern gibt, der Vernunftgründen zugänglich ist. Prüfen wir also die normativ-rationalen Rechtfertigungen, da Fundamentaleres auf dem Spiel steht als nur die Kunst des optimalen Grapschens: Verdienen Spitzenmanager, was sie verdienen?

Getrost zur Seite schieben können wir das motivationspsychologische Argument, das den Unterschied zwischen jenen akzentuiert, die sich reinhängen, und jenen, die sich hängenlassen. Auch wenn aus Sicht vieler Aktionäre hohe Renditen hohe Managergehälter voraussetzen (was eine unbewiesene kausale Kuppelei ist), würde kein Manager die motivierende Wirkung des Geldes für sich selbst reklamieren. Wie auch? Soll er, entsprechend angereizt, irgendwie klüger werden? Besser entscheiden? Schneller rennen? Früher aufstehen? Plausibler scheint der von Sergio Ermotti gerne gebrachte Hinweis auf den Spitzensport, wo vergleichbare Gagen gezahlt würden. Indes, der Vergleich hinkt. Die Leistung des Sportlers ist in jedem Wettbewerb für das Publikum beobachtbar; im Management nicht – da ist eine zuschauende Öffentlichkeit ausgeschaltet. Mithin liegt der Verdacht nahe,dass sich hinter den Kulissen ein symbiotisches Oligopol aus Managern, Verwaltungsräten und Beratungsindustrie wechselseitig bedient. Zudem: Wer im Sport versagt, wird schonungslos aussortiert; im Management wird man in der Regel mit goldenen
Fallschirmen aufgefangen. Schaut man gerade in die jüngste Vergangenheit, dann können angestellte Unternehmenslenker heute nicht nur schadlos Betriebe an die Wand fahren – die Höhe der Abfindungen wirkt geradezu wie eine Belohnung. Die Analogie zum Sport vermag also nicht zu überzeugen.
Ernst zu nehmen ist das Argument, man wolledie Leistungsstärksten auf den Personalmärkten finden und halten, weil nur eine kleine, international umworbene Elite in der Lage sei, Grosskonzerne zu steuern. Man müsse sich daher an amerikanischen Spitzenlöhnen orientieren, vor deren Hintergrund die schweizerischen Saläre noch massvoll seien. Dieser offenbar existierende weltüber greifende Manteltarifvertrag will jedoch einige Tatsachen unsichtbar machen. Zum Beispiel, dass Auswahlprozesse für CEO oft weniger mit Fach- und Führungsfähigkeiten zu tun haben als mit Beziehungen, Seilschaften und Zufällen. Zudem ist Leistung in sozialen Kontexten nicht messbar (sondern auf Faktenbasis nur bewertbar). Ignoriert wird ferner die Tatsache, dass es keine einzige Studie weltweit gibt, die eine positive Korrelation zwischen Managementgehältern und der Entwicklung des Unternehmenswerts nachgewiesen hätte. Letztlich ist es eine Illusion, zu glauben,dass ein CEO das Unternehmen steuert – es ist realiter vielmehr umgekehrt: Die Organisation steuert den CEO (und jeder CEO weiss das auch).

Aber gibt es überhaupt diesen Wettbewerb um die Besten? Oder gehört er zu jenen Phänomenen, die eine Realität jenseits der Fakten behaupten, weil sie einer tieferen Wirklichkeit des Eliteempfindens entsprechen? Auch da darf man zweifeln. Die Forschungen des Soziologen Michael Hartmann zeigen: Von den CEO der 1000 grössten Unterneh men der Welt leitet gerade einmal nur jeder Achte ein Unternehmen ausserhalb seines Heimatlandes.
Aber selbst wenn es «beste» Manager tatsächlich gäbe – wäre den Unternehmen damit geholfen?

Die Vorstellung kontextfreier Managementhelden spiegelt altorganisatorisches Denken. Es modelliert das Unternehmen als Addition individueller Einzelleistungen. Ein modernes Unternehmen ist jedoch eine Kooperations-Arena, die um die Grundidee der Zusammenarbeit herumgebaut ist. Individuelle Leistung ist darin schwer zu isolieren, ein Resultat kaum persönlich zurechenbar. Und auch ein noch so genialer Chef an der Unternehmen spitze kann ohne fähige Fach- und Führungskräfte nicht erfolgreich sein. Individuelle Spitzengehälterdementieren mithin die Zusammenarbeit und das «Wir» als Zentralidee der Unternehmensführung.
Graben wir noch etwas tiefer: Kann man aus den USA das Gehaltsgefüge herauspicken und den kulturellen Kontext aussen vor lassen? Nein, das ist
anthropologisch naiv. Es ist Erinnerungslosigkeit –«wishful thinking» aus dem Geist eines arglosen Universalismus. Wir können nicht einfach Tradi-tionskomplexe ignorieren, historisch Gewachsenes für obsolet halten. Deshalb ist die Frage nach der Angemessenheit von Gehältern herkunftssensitiv.
Sie ist vertikal-lokaler Natur, an Orte gebunden – an Geschichte, Tradition und sittliches Empfinden. Vor diesem Hintergrund ist die Betonung globalisierter Einkommensstandards ein schwaches Argument, auch wenn es beliebt ist bei CEO-Touristen, die sich einer global-horizontalen Logik verpflichtet fühlen.

Kulturunabhängig wird es noch fragwürdiger – dann nämlich, wenn wir die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme zwar theoretisch nachvollziehen können, aber lebensweltlich als wirklichkeitsfremd wahrnehmen: Die Rationalität des Teilsystems «Wirtschaft» hängt nicht im luftleeren Raum, sondern hat vielfältige Wechselwirkungen mit der Gesamtgesellschaft. Die gegenwärtige Generation von Spitzenmanagern ignoriert gesamtgesellschaftliche Resonanzen, beugt sich vielmehr den Sachgesetzlichkeiten der Wirtschaft. Das macht ihren Berufsstolz aus, ist jedenfalls die Grundlage für ihr Ansehen und ihre Ansprüche. Entsprechend hat sie das Gefühl verloren für das, was die Systeme «Wirtschaft» und «Ge-sellschaft» zusammenhält: Legitimität.

Das offenbart Strukturschwächen. Denn wenn man von staatlicher Regulierungs-Prothetik absieht, ist es klar, wer die Legitimität eines Grossunternehmens überwachen soll: der Verwaltungsrat. Er soll nicht nur die Interessen der Aktionäre, Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten balancieren, sondern auch die Unternehmensführung mit gesamtgesellschaftlichen Interessen verknüpfen. In diesem Zusammenhang fällt es schwer, nicht von einem Systemversagen zu sprechen. Das liegt nicht zuletzt an der typischen Zusammensetzung von Verwaltungsräten grosser Konzerne.Sie sind geradezu Paradebeispiele homosozialer Reproduktion: Man kennt sich, ist tendenziell ähnlich sozialisiert, meinungskonvergent, pflegt ein ausgeprägtes Harmonie-Ideal und ist gegenüber dem Verwaltungsratsvorsitzenden in der Regel ausgesprochen unterwerfungsbereit.

Als Global Player belächelt man das Legitimationsdefizit absurder Managereinkommen: Das Spannende ist das Weltumspannende.Verwaltungsräte und Manager gehören jedoch zur sozialen Verantwortungselite, die nicht langfristig auf die allgemeine Zustimmung der Bevölkerung vor Ort verzichten kann. Die schlichte Tatsache, dass es für Gehälter keine «objektive» Referenzgrösse gibt, darf sie nicht einladen, sich der normativen Rechtfertigung dieser Frage gleich ganz zu entledigen. Wenn sie aber die Signalwirkung extremer Saläre nicht beachten, generieren sie gesamtgesellschaftlichen Zynismus. Nicht zuletzt bestätigen sie destruktiv den prinzipiellen Schutz von Minderheitsansprüchen und werden zu Steigbügelhaltern der grassierenden «Jetzt bin ich mal dran»-Attitüde. Siehe die 13. AHV-Rente.Kommen wir letztlich zum Fundamentalen. Es ist unübersehbar, dass wir den Übergang vom Unternehmerkapitalismus zum Managerkapitalismus bisher schlecht gestaltet haben. Der Unterschied ist erheblich:Ein Unternehmer riskiert sein eigenes Geld, was ihn zu hohen Prämien berechtigt. Ein Manager hingegen ist ein Angestellter, ein Treuhänder: Er verwaltet Geld, das ihm nicht gehört. Das müsste ihn eigentlich zur grössten Zurückhaltung bei der Einkommenszuweisung veranlassen.

Das Gegenteil ist der Fall: Er wird nicht wie ein Treuhänder bezahlt. In den letzten Jahrzehnten wurde es sogar möglich, ohne «skin in the game» so wohlhabend zu werden, wie es früher nur sehr erfolgreiche Unternehmer werden konnten. Das ist ein extrem attraktives Lebensmodell, das viele zu verwirklichen trachten, richtungsgleich mit den teilweise skandalös hohen Gehältern im öffentlichen Dienst. Eine ETF-Kultur risikoloser Existenzentwürfe, gepaart mit illegitim hohen Einkommen – man übertreibt nicht, wenn man darin die Sollbruchstelle des gegenwärtigen Kapitalismus erkennt.

 

Zurück