Die wahren Feinde des Kapitalismus sitzen in den Managementetagen
Die wahren Feinde des Kapitalismus sitzen in den Managementetagen
Herr Sprenger, die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS soll «Ende Mai oder Anfang Juni» abgeschlossen sein. Die Welt fragt sich, ob das gut gehen kann. Aber was ist gutes Management überhaupt?
Es gibt kein «gutes» Management, auch keine «gute» Führung. Das sind Mythen. Ich unterscheide zwischen „erfolgreich“ und „nicht erfolgreich“. Das ist nüchterner und moralisiert nicht. Eine Führungskraft ist dafür zuständig, dass eine Organisation überlebt. Und solange sie das im gesetzlich festgelegten Rahmen tut, gibt es keinen Grund, sie umzuerziehen oder ihre Gesinnung zu nötigen.
Dann anders gefragt: Was sind die grössten Fehler, die momentan im Management gemacht werden?
Schon die Idee des Fehlers ist problematisch, weil sie unterstellt, dass es einen idealen Soll-Zustand gibt. Zum Beispiel, dass eine Führungskraft den Mitarbeiter Ziele vorgeben soll, ein Vorbild sein oder die Mitarbeiter «empowern» soll. Oder authentisch sein soll. Das Authentische ist so lange attraktiv, bis Sie auf jemanden treffen, der authentisch ist. Stellen Sie sich vor, Sie würden nur einen Tag lang die Wahrheit sagen und nichts als die Wahrheit. Das wäre ein Schlachtfeld der Unbarmherzigkeit. Eine Führungskraft muss eine Rolle spielen. Und dazu gehört Höflichkeit, Selbstbeherrschung, Takt. Auch Freundlichkeit, selbst wenn ihr nicht danach ist. Eine Führungskraft wird nicht dafür bezahlt, sie selbst zu sein. Aber es gibt Kontexte, indem Rolle und Selbstsein sich eher decken. Die Frage lautet deshalb: Passe ich in das System, in dem ich arbeite?
Aber es heisst doch immer: Je härter man arbeitet, desto mehr erreicht man auch.
Erfolg ist, was folgt. Erfolg hängt von einer Faktorenreihe ab, die niemals vollständig zu kontrollieren ist. Deshalb spielt das Zufallsglück eine bedeutende Rolle. Die ganze Managementtheorie kollabiert, wenn man den Zufall einberechnet. Es gibt unendlich viele Menschen, die Erfolgsmodellen hinterhergelaufen sind und schlicht Pech hatten. Aber die schreiben keine Erfolgsratgeber. Ich habe noch nie ein Buch gelesen mit dem Titel „In zwölf Schritten zum Verlierer“. Natürlich, Leistungsbereitschaft spielt eine Rolle. Talent auch. Wichtiger noch sind die Freiräume, die die interne Organisation oder der Markt bietet. Diese kann man selbst wählen. Auch hier wieder die Frage: Bekomme ich auf diesem Spielfeld für mein bestes Talent auch ein Lächeln?
Das klingt, als würde es keine Rolle spielen, wer ein Unternehmen leitet. Dabei gilt doch eigentlich: Je besser die Manager, desto besser geht es einer Firma.
Ein Unternehmen ist eine Kooperations-Arena. Sie ist um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut, nicht um die Addition von Einzelleistungen. Deshalb kann Erfolg nicht der individuellen Leistung einer Person zugerechnet werden. Ein noch so grossartiger Chef im Top-Management kann nicht erfolgreich sein ohne die Fach- und Führungskräfte, die ihm täglich zuarbeiten. Eine extrem gespreizte Gehaltsstruktur dementiert jedoch die Zusammenarbeit als Zentralidee des Unternehmenserfolgs.
Das widerspricht dem Mantra der Banken. Diese behaupten, man müsse so hohe Boni bezahlen, um die besten Leute zu erhalten.
Wer sind denn «die Besten»? Die mit der besten Ausbildung? Die Einkommensmaximierer? Die Söldner oder Spielertypen mit extremer Risikoneigung? Es gibt keine einzige Studie weltweit, die einen Zusammenhang zwischen individueller Leistung und hohen Boni nachweisen konnte. Darum ist es ein ordnungspolitischer Skandal, dass ein Top-Manager bis zu 400 Mal mehr verdient als andere Mitarbeiter innerhalb der Firma. Anders verhält es sich bei einem Unternehmer. Der haftet mit seinem eigenen Vermögen. Der sollte im Erfolgsfall auch eine hohe Risikoprämie erwarten dürfen. Ein Manager aber verwaltet Geld, das ihm nicht gehört. Ohne eigenes Risiko. Und so sollte er auch bezahlt werden. Als Treuhänder. Die wahren Feinde des Kapitalismus sitzen also nicht in irgendwelchen linken Bretterbuden, sondern in den Managementetagen der Großkonzerne. Und das sage ich als Radikalkapitalist.
Sie sagten mal, «Bonuszahlungen sind strukturelle Korruption». Wie meinen Sie das?
In der Regel handeln Menschen danach, ob es ihnen vernünftig erscheint. Wenn man ihnen nun eine Möhre vor die Nase hält, orientieren sie sich nicht an der sachlichen Vernunft, sondern an der Möhre. Sie tun Dinge, um die Möhre erhalten, auch wenn das der grösste Blödsinn ist. Jede Form von Anreizen verbiegt also das natürliche Handeln. Der Sinn des Handelns ist dann die Möhre, nicht mehr das Handeln selbst. Auf diese Weise macht man die Menschen zu Reiz-Reaktions-Automaten. In der Wissenschaft nennt man das «moral hazard». Das führt langfristig dazu, dass das Reizniveau immer höher geschraubt werden muss. Ein Unternehmen wird quasi zur Drogenszene. Ohne Extra-Cash geht dann gar nichts mehr. Dabei werden langfristige und qualitative Aspekte von Bonussystemen sowieso nicht erfasst.
Wie meinen Sie das?
Es gibt Aspekte in der Führung, die nicht messbar sind und die erst sehr langfristig Wirkung erzeugen. Vertrauen zum Beispiel, Innovationskraft, Markentreue. Diese potenziellen Erfolgstreiber realisieren sich erst, wenn ein Unternehmen über viele Jahre hinweg gute Arbeit geleistet hat. Boni hingegen verleiten zu kurzfristig wirksamen Handeln. Selbst dann noch, wenn man die Belohnungen zeitlich aufschiebt.
Wenn alles keine Rolle spielt, wieso sollte man überhaupt nach guten Leuten suchen? Man könnte einfach irgendjemanden einstellen.
Wenn Sie ins Extreme gehen, wird alles falsch. Das tun sie mit dieser Frage. Aber etwas ist da dran. Ich glaube wirklich, dass die Zufallsauswahl bessere Ergebnisse erzeugen kann. Im Altertum und Mittelalter wurden Leitungsfunktionen ja auch teilweise per Los besetzt. Das hatte den Vorteil, dass die ganze Breite der Bevölkerung repräsentiert war. Das ist heute kaum mehr der Fall. Befördert wird ja soziale Ähnlichkeit. An der Unternehmensspitze konzentrieren sich daher bestimmte Menschentypen. Ob die wirklich geeignet sind, steht dahin. Sie entsprechen einfach dem psycho-organisatorischen Status Quo. Und sie werden über die Feedback-Maschinerie noch mehr zu Konformitätsruinen verbogen. Kurios, wenn, man ihnen kompensatorisch zuruft: «think out of the box».
Warum verhält sich die Wirtschaft so, wenn wissenschaftlich alles dagegen spricht?
Das ist eine Frage, die ich mir seit fast 40 Jahren stelle. Es ist wohl wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle machen, wird schliesslich zur Regel. In Bezug auf die Bonussysteme denke ich, dass es unmöglich ist, jemanden zu überzeugen, wenn sein Einkommen davon abhängt, nicht überzeugt zu sein. Es lässt sich ja so viel Geld verdienen. Und eine gesellschaftlich dominante Meinung wird sich nicht ändern, wenn man sie rational widerlegt. Sondern wenn ihre Vertreter aussterben. Das Thema wird sich also biologisch erledigen.
Welche Rolle spielen die Aktionäre?
Grossunternehmen sind im Besitz eines internationalen Aktionariats. Und sowas wie gesunder Menschenverstand ist weltweit nicht sonderlich verbreitet. Die meisten Aktionäre glauben nach wie vor, dass hohe Boni eine hohe Rendite bringen. Sie denken, dass Führungskräfte deswegen schneller rennen, besser entscheiden oder früher aufstehen. Und dadurch die Aktionärsinteressen besser vertreten. Kurzfristig mag das stimmen. Langfristig nicht. Denn wer für Geld kommt, geht für Geld.