Boni - sechs fundamentale Irrtümer

Boni - sechs fundamentale Irrtümer

«Jetzt wollen diese Nieten auch noch Boni kassieren!» Es scheint absurd, Gutes (lat. bonum: das Gute) dem Schlechten hinterher zu werfen. Entsprechend hoch schlagen die Empörungswellen. Wieder einmal. Die Menschen folgen ihren moralischen Intuitionen und erklären den Niedergang der Credit Suisse aus individuellem Fehlverhalten: Die Hauptschuld trage eine lange Reihe ebenso unfähiger wie geldgieriger Führungskräfte. Übersehen werden dabei die systemischen Bedingungen, die in weit höherem Masse die unendliche Geschichte unternehmerischer Rohrkrepierer erklären. Im Kern geht es dabei um strukturelle Entscheidungen, die die Interessen des Kapitals mit denen der Angestellten synchronisieren sollen und deren psychoorganisatorische Spitze die Bonus- und Incentive-Systeme bilden. So ging die Führungsriege der CS vor allem im Investment Banking hohe Risiken ein, die im Erfolgsfalle vor allem auf die eigene Brieftasche zielten. Es geht aber um Grundsätzlicheres: Das „Führen durch Anreize“ sattelt auch jenseits des moralischen Furors auf fundamentalen Irrtümern.

Es ist ein Irrtum zu glauben, Unternehmenserfolg liesse sich kausal erklären. Die Schieflage der CS hat viele Wurzeln. Menschen neigen aber dazu, Ereignissen bestimmte Ursache-Wirkungs-Muster zu unterlegen. Erfolg resp. Misserfolg scheint daher „machbar“ zu sein: Wenn - dann. In den letzten Jahren wurde hingegen immer deutlicher, dass die Management-Theorie kollabiert, wenn man etwas hineinrechnet, was traditionell herausgerechnet wird: der Zufall. Der Erfolg eines Unternehmens hängt demnach von einer Faktorenreihe ab, die kaum – und auf keinen Fall vollständig - vom Management zu kontrollieren ist. In wirtschaftshistorischer Rückschau liegt sogar nahe, dass der Einfluss des Zufallsglücks um so größer ist, je erfolgreicher ein Unternehmen wurde. Weil Fortuna lächelte.

Es ist ein Irrtum zu glauben, das Topmanagement sei der Haupttreiber für Erfolg. Das altorganisatorische Managementdenken modelliert das Unternehmen als Koordinations-Arena, gleichsam als Addition individueller Einzelleistungen. Ein Unternehmen ist aber eine Kooperations-Arena. Individuelle Leistungen sind aber in einer Arbeitsgemeinschaft schwer zu isolieren, Resultate kaum persönlich zurechenbar. Auch ein noch so genialer Chef an der Unternehmensspitze kann ohne fähige Fach- und Führungskräfte nicht erfolgreich sein. Die z.T. extreme Spreizung der Gehaltsstruktur dementiert jedoch die Zusammenarbeit als Zentralidee der Unternehmensführung.

Es ist ein Irrtum zu glauben, Boni motivierten Manager zu höheren Leistungen. Es gibt keine einzige Studie weltweit, die eine dauerhafte Leistungssteigerung durch Bonus-Systeme nachgewiesen hätte. Lediglich bei hochrepetitiven Arbeiten (Säckeschleppen) lassen sich kurzfristig leistungssteigernde Effekte nachweisen. Einen derart unterkomplexen Leistungsbegriff werden Manager kaum für sich reklamieren. Leistungen mit kognitiver Beteiligung ergeben sich vielmehr aus dem Zusammenspiel von Leistungs-Bereitschaft, Leistungs-Fähigkeit und Leistungs-Möglichkeit. Die Bedeutung der Motivation/Leistungsbereitschaft wird dabei überschätzt. Motivation ist vielmehr eine Folge von Erfolgserfahrungen, keine Voraussetzung, allenfalls eine Begleiterscheinung gewollten und gekonnten Handelns. Boni sind daher kurze Hebel: Sie stimulieren allenfalls die Leistungsbereitschaft; die beiden anderen Dimensionen bleiben davon unberührt. Was soll daraus resultieren? Dass Manager besser entscheiden, schneller rennen oder früher aufstehen?

Es ist ein Irrtum zu glauben, ohne hohe Boni bekäme man nicht die besten Manager. Gesamthaft niedrige Gehälter eines Unternehmens sind in der Tat einen Wettbewerbsnachteil auf den Personalmärkten. Wir sollten dennoch fragen: Wer sind die Besten? Die Einkommensmaximierer? Die Spielertypen mit hoher Risikoneigung? Und wenn sie kämen, die Freude währte nicht lange: Wer für Geld kommt, geht für Geld. Insbesondere in der Finanzindustrie sind diese Manager Söldner - an einer langfristigen Entwicklung des Unternehmens und am Wohl des «ganzen» Hauses sind sie kaum interessiert. So gibt es auch keine Forschung, die eine signifikante Konvergenz zwischen der Entgeltsumme im Management und der Performance des Unternehmens nahelegt. Die Praxis zeigt zudem, dass ein Unternehmen nicht die Besten braucht, sondern die Passenden. Letztlich, ironische Wende: Man mag sich gar nicht ausmalen, welche Manager eine CS ohne Boni hätte.

Es ist ein Irrtum zu glauben, es gäbe «richtige» Anreize. Erscheint einem Menschen eine Handlung vernünftig, so wird er sie ausführen; erscheint sie ihm unvernünftig, so unterlässt er sie. Finanzielle Anreize unterlaufen das an der Sache orientierte Nutzenkalkül und ersetzen es durch die Orientierung am fremd gesetzten Vorteil: «Tue dies, dann bekommst du das». Anreize verbiegen mithin das Handeln und drängen zu einem «unnatürlichen» Verhalten (moral hazard). Langfristig konzentriert man sich nicht mehr auf «dies», sondern auf «das». Die Folgen sind fatal: immer höhere Reizniveaus, Belohnungssucht, ein schlechtes Kooperationsklima sowie die Vernachlässigung langfristiger und qualitativer Dimensionen der Unternehmensführung. Deshalb gibt es keine «richtigen» Anreize (und ebenso keine «falschen»). Jeder Anreiz unterläuft die natürliche Rationalität des Handelnden und erzeugt entsprechende Umgehungs- bzw. Ausbeutungsenergien.

Es ist ein Irrtum zu glauben, das Verhalten von Managern und Unternehmern sei identisch. Die Sollbruchstelle des gegenwärtigen Kapitalismus besteht darin, dass wir bislang keine Antwort haben auf die Frage, wie der Übergang vom Unternehmerkapitalismus zum Managerkapitalismus zu legitimieren ist. Ein Unternehmer riskiert sein eigenes Geld, er hat «skin in the game». Ein Manager hingegen ist ein Angestellter, ein Treuhänder: Er verwaltet Geld, das ihm nicht gehört. Was sie eigentlich zur grössten Zurückhaltung bei den eigenen Einkommenszuweisungen veranlassen müsste. Es aber nicht tut, im Gegenteil: So wurde es in den letzten Jahrzehnten zunehmend möglich, ohne eigenes finanzielles Risiko so wohlhabend zu werden, wie es früher nur Unternehmer wurden. Das ist ein extrem attraktives Lebensmodell, das viele zu verwirklichen trachten – strukturell vergleichbar mit den teilweise skandalös hohen Einkommen im öffentlichen Dienst.

Warum aber gibt es diese Differenz zwischen dem, was Wissenschaft weiss und was Wirtschaft tut? Zunächst ist es unmöglich, jemanden von etwas zu überzeugen, wenn sein Einkommen davon abhängt, nicht überzeugt zu sein. Man schlachtet nicht die Kuh, die man melken will. Solange es also individuelle variable Einkommensanteile gibt, werden Manager ihre Informationsvorteile ausbeuten. Zudem sind Bonus-Systeme in bestimmten gesellschaftlichen Sektoren schlicht üblich geworden sind. In Abwandlung eines Satzes von Malraux kann man sagen, im Management ist es wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle machen, wird schließlich zur Regel. Bleiben die Aktionäre. Es wird sich nichts ändern, wenn die Aktionäre weiterhin an den Zusammenhang „hohe Boni = hohe Rendite“ glauben. Sie haben einen hohen Selbstberuhigungsbedarf, schließen vor dem Hintergrund vergangener Erfolg auf zukünftige Erfolge, teilen insofern das Interesse des Verwaltungsrats, der mithilfe von Kompensationsspezialisten das Gefühl braucht, man könne ihm bezüglich Auswahl keinen Vorwurf machen.

Der Verweis auf die Irrtümer der Bonus-Zahlungen wird gerne mit mildem Verständnisblick abgetan. Dem Menschen wohne nun einmal ein bisschen Habgier inne und Neid sei ein schlechter Ratgeber. Das mag stimmen. Aber es sind personenzentrische Verkürzungen. Entsprechend wird man im Falle der CS wohl retrospektiv (und erfolglos) die Zahlungen an frühere Manager zurückfordern, aber nicht thematisieren, welche Rolle die Boni bei der Gestaltung zukünftiger Geschäftspolitiken spielen sollen. Denn in Tat und Wahrheit handelt es sich bei den Bonus-Systemen um strukturelle Korruption, die sich mit dem Verweis auf Allzumenschliches nicht relativieren lässt. Schon 2007/08 lösten dieselben Fehlleitungen die Finanzkrise aus. Offenbar ist der Mensch zwar lernfähig, aber unbelehrbar.

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